„Schamlos“ im Haus der Geschichte

Januar 13, 2016 von Simone Blaschke - Keine Kommentare

Die Sonderausstellung “Schamlos” im Haus der Geschichte – noch bis 3.4.2016

„Schamlos“ bedeutet unanständig. Das Wort steht ganz groß auf einem Plakat am Haus der Geschichte in Bonn unter dem der „Psst“-Finger an den Lippen einer Frau und weckte meine Neugier, die Ausstellung zu besuchen.

Schamlos_Plakat_HdG

Plakat zur Ausstellung SCHWIND. Agentur für Zukunftskommunikation

Die erste Assoziation, die der Begriff „Schamlos“ – wie vielleicht bei vielen anderen auch – bei mir auslöst, wurde in der Sonderausstellung im HDG natürlich auch bedient: Sex und Pornografie. Allerdings erst am Ende des Rundgangs, für den man sich ruhig ein bis zwei Stunden Zeit nehmen kann. Zu Anfang standen aber ganz andere Themen im Vordergrund: das Rollenbild von Mann und Frau in den frühen 1950er Jahren, die Auffassung von Ehe, die (noch) nicht vorhandenen Rechte des weiblichen Geschlechts. Damit befasst sich der erste Teil in aller Ausführlichkeit.

Kinoplakat zum ersten Skandalfilm in der Bundesrepublik, 1951 Foto: Stiftung Haus der Geschichte/Axel Thünker

Kinoplakat zum ersten Skandalfilm in der Bundesrepublik, 1951
Foto: Stiftung Haus der Geschichte/Axel Thünker

So wusste ich zum Beispiel nicht, dass es noch 1972 unter Strafe stand, wenn Frauen und Männer, die nicht verheiratet waren, in einem gemeinsamen Zelt auf dem Campingplatz oder im Hotelzimmer übernachteten und dabei von Ordnungshütern erwischt wurden. Die Betreiber der Unterkünfte machten sich dadurch sogar mit strafbar.

Unfassbar auch ein Urteil des Bundesgerichtshofs von 1966 (Zitat): „Die Ehe fordert…von der Frau die Gewährung des Beischlafs in Opferbereitschaft und verbietet es, Gleichgültigkeit oder Widerwillen zur Schau zu tragen.“ Wow und immer wieder wow, dachte ich mir während des Rundgangs beim Lesen und Betrachten der zahlreichen Infos, Ausstellungsstücke, Bilder und Filme. Bis 1958 hatte der Mann nicht nur das Recht, zu bestimmen, ob seine Ehefrau arbeiten durfte. Er konnte ihren Anstellungsvertrag auch jederzeit ohne ihre Einwilligung kündigen. Damals wurden Frauen sogar entlassen, nur weil sie Hosen trugen.

Erst im Jahr 1977 wurde der Passus im Bürgerlichen Gesetzbuch zugunsten der Frau geändert. Da war die Frauenbewegung bereits im vollen Gang.

Was ist seither alles passiert? Mit der Einführung der Anti-Babypille 1965 konnten Frauen endlich selbst bestimmen, wann sie schwanger werden wollten. In der skandalträchtigen Stern-Ausgabe vom 6. Juni 1971 mit der Titelschlagzeile „Wir haben abgetrieben.“ bekannten sich 374 prominente und nicht prominente Frauen erstmals öffentlich dazu, abgetrieben zu haben. Auch der sogenannte Memminger Prozess, bei dem der Frauenarzt Horst Theissen 1988 wegen illegaler Abtreibungen zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, erregte enormes öffentliches Echo.

Tabubruch: Der DDR-Kinofilm von 1989 thematisiert Homosexualität. Foto: Punctum/Bertram Kober

Tabubruch:
Der DDR-Kinofilm von 1989 thematisiert Homosexualität.
Foto: Punctum/Bertram Kober

Die Ausstellung vergleicht Ost- und Westdeutschland, beschäftigt sich mit Sexualmoral, Wertewandel und reißt weitere Themen wie Homosexualität und Homophobie (zu sehen ist u. a. der Männerkuss aus der TV-Serie „Lindenstraße“ von 1987, damals ein Skandal) sowie Prostitution früher und heute an. Wussten Sie zum Beispiel, dass bereits 2010 ein Viertel aller Suchanfragen bei Google zu pornografischen Themen gestellt wurden? Oder dass in jeder Sekunde weltweit fast 30.000 pornografische Filme im Internet abgespielt werden? Diese und andere Infos liefert die Ausstellung, die darüber hinaus im Teil „Kindheit“ Menschen zu Wort kommen lässt, in deren Kindheit Schläge zu den üblichen Erziehungsmaßnahmen gehörten. Erschütternd und empörend zugleich sind die Berichte der Betroffenen im Originalton.

Fazit

Vieles, was in der Ausstellung „Schamlos“ thematisiert wird, ist bis heute – wenn auch in veränderter Form – noch präsent und regt zum Nachdenken an: Das Selbstverständnis von Mann und Frau, Gewalt als Lösung gegenüber Schwächeren und die Reduzierung auf das Äußere.

Infos

Die Ausstellung läuft noch bis zum 03.04.2016.
Der Eintritt ist kostenfrei!

 



Simone Blaschke_Autorin bonnentdeckenSimone Blaschke 
lebt bereits seit 1992 in Bonn und bezeichnet sich inzwischen als rheinländischer „Immi“. Sie arbeitet seit 2003 als freiberufliche PR-Redakteurin und Eventmanagerin und konzentriert sich seit einiger Zeit verstärkt auf digitale Kommunikation und Reise-Themen. Auf ihrer Internetseite unter www.blaschke-pr.de/blog findet ihr weitere Artikel und mehr über ihre Arbeit.